Unsere wichtigste Entscheidung

Marco widmet sich der laut Albert Einstein wichtigsten Entscheidung unseres Lebens und beleuchtet in diesem Zusammenhang, wie wir Menschen grundsätzlich Entscheidungen treffen und warum. Wovon hängt es ab, ob wir etwas als “gut” oder “schlecht” bewerten? Und was haben sogenannte soziale Felder, Otto Scharmer und dessen “Theory U” damit zu tun?

Bei all dem, was grade passiert, fällt es mir zugegebener Weise immer wieder ziemlich schwer, zu glauben, dass die „wichtigste Entscheidung“, die Albert Einstein da benennt, von mir getroffen wird.

Bewusst oder unbewusst: Von der Entscheidungsfindung und dem Weg dorthin

Wie treffen wir Entscheidungen? Auf Basis der Informationen, die wir bewusst oder unbewusst wahrnehmen. Mit dem riesengroßen, vielschichtigen Sensorium unseres Körpers. Informationen, die ständig um uns herum verfügbar sind und in unser Feld sickern. Sickern ist noch maßlos untertrieben – mit denen unser Wahrnehmungsfeld nahezu geflutet wird. Täglich. Unaufhörlich nehmen wir Reize unserer Umwelt auf und verarbeiten sie zu einem – unserem – Bild der Wirklichkeit.

Vielleicht hilft ein alltagsnahes, aber hier fiktives Beispiel zur Veranschaulichung

Der Körper von einer zurückliegenden Corona-Infektion noch geschwächt, wirklich Zeit, sich richtig zu erholen blieb auch nicht. Die Kinder konnten nicht in die Kita oder Schule gehen, dadurch war es anstrengender zuhause. Der Arbeitgeber ist durch die konjunkturelle Lage hart getroffen: schlechte Zahlen, Anspannung überall, (zu) viele Termine und Umsetzung von Maßnahmen, um der Krise zu begegnen. Und das nach zwei Jahren, in denen die eigenen Kolleg:innen kaum gesehen wurden. Viel wichtiger wäre erstmal der menschliche Kontakt untereinander, mal wieder als Team zusammenzukommen. Aber Priorität hat zunächst nun einmal die Krisenbewältigung. Kraft zu Hause zu schöpfen, fällt ebenfalls schwer, sieht die Realität im Arbeitsalltag des Partners doch ähnlich aus.

Unsere aktuelle, andauernde Realität: Multikrisen

Was wir derzeit erleben, diese schier unendliche Zahl krisenhafter Phänomene, die sich überlagern, sind sogenannte Multikrisen. Sie sind (Teil) unser(er) Realität, unser täglichen Wahrnehmung und der kollektiven Energie, die uns alle umgibt.

Und nun soll die wichtigste Entscheidung diejenige sein, ob das Universum freundlich oder feindlich ist? Bei all dem, das grade los ist, tendiere zumindest ich zu feindlich…oder?

…was ist mit den kleinen Dingen?

Viellicht scheint auf den ersten Blick alles grau. Wenn wir uns aber den vermeintlich kleinen Dingen widmen, könnte sich dieser eventuell verändern: Die Nachbarin, die einen Zettel an den Briefkasten hängt, weil sie möglicherweise meinen Haustürschlüssel gefunden hat.

Ein Gespräch mit den Geschwistern und der Mutter über die Perspektive der nächsten Jahre, in dem alle verspüren, wie viel Kraft im aufrichtigen Teilen des jeweiligen Blickwinkels und dem gemeinen Austausch über der den Blick nach vorne liegt.

Das Teilen von wunderbaren Erinnerungen nach dem Tod einer geliebten Person, bei dem alle Beteiligten eine tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit spüren.

Wie fällt diese wichtige Entscheidung, ob die Welt freundlich oder feindlich ist, unter Beachtung dieser Alltagsphänomene nun aus? Was wäre, wenn freundlich nicht bedeutet, dass immer alles gut ist – also die Welt immer freundlich ist – sondern wie wir mit der Welt in Kontakt treten?

Unsere Erfahrungen prägen unsere Gegenwart und damit unsere Zukunft

Jede aktuelle Situation, die wir erleben, trifft auf Erfahrungsmuster, die in unserem Körper, abgespeichert sind. Erfahrungen, die uns geprägt haben. Bewältigungsstrategien, die wir in der jeweiligen Situation entwickelt haben, um dieser „erfolgreich“ zu begegnen. Diese Bewältigungsstrategien haben funktioniert und sind tief in unserem System gespeichert.

Oftmals treten diese unbewusst in Aktion, wenn wir in schwierigen, emotional fordernden Situationen sind. Und bestimmen einen Teil unserer Verhaltensmuster. Deshalb lautet die entscheidende Frage, wie wir unseren eigenen Fokus verändern können, in einer Welt voller Krisen. Und ist der eigenen Perspektivenwechsel nicht vielleicht das einzige, das die Welt wirklich verändert?

Ein Blick in die Fabelwelt mag helfen, denn in unseren Märchen und Geschichten stecken oft Botschaften, mit denen wir tief räsonieren. In der Verfilmung J. R. R. Tolkiens „Der kleine Hobbit“ gibt es eine Szene, die vielfach über Twitter, YouTube oder andere soziale Medien geteilt wurde.

Darin antwortet der Zauberer Gandalf auf die Frage, wie die Welt zu einem friedlichen Ort wird, Folgendes: “Ich weiß es nicht. Saruman ist der Meinung, dass nur große Macht das Böse fernhalten kann, aber ich habe anderes erfahren. Ich glaube, es sind die kleinen Dinge, alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfache Taten aus Güte und Liebe.“

Energy flows, where focus goes: Dem Alltag bewusst begegnen

Wie kommen wir nun dazu, den eigenen Zugang zu diesen „kleinen, alltäglichen Dingen aus Güte und Liebe“ in unserem Krisen-gefluteten Umfeld herzustellen und ebenso zu handeln?

Otto Scharmer hat dies am Massachusetts Institute of Technology (MIT) weltweit erforscht. Er nennt die Bewegungen, Reaktionen und Interaktionen in den genannten Beispielen „soziale Felder“. Er widmet seine Forschungstätigkeit (und wenn man mich fragt, sogar sein ganzes Leben) der Erforschung dieser sozialen Felder und der bewussten Gestaltung dieser.

Otto Scharmer, die „Theory U“ und eine neue Offenheit

Otto Scharmer gibt den beschriebenen Phänomenen mit der von ihm und seinen KollegInnen entwickelten Theory U einen Rahmen. Ordnet diese ein und gibt uns Hinweise, wie eine positive Gestaltung des sozialen Feldes gelingen und daraus sogar viel Gutes entstehen kann.

Oftmals haben wir zu einer Fragestellung eine gewohnheitsmäßige Meinung im Kopf, die wir „herunterladen“ und auf Basis derer wir unsere Entscheidung treffen. Immer beeinflusst durch die vielfältigen medialen Botschaften, die täglich auf uns einprasseln. Anstatt nun zu versuchen, die eigenen Meinung „durchzusetzen“, um zu einem Ergebnis zu kommen, schlägt Otto Scharmer nun vor, einen Moment inne zu halten und das „Denken zu öffnen“. Hinzusehen, faktisch zu zuhören, zu erforschen: Wo sind neue Informationen, die vom Bild im Kopf abweichen? Können diese einfach neben dieses gestellt werden, um etwas zu lernen?

Im nächsten Schritt geht es, darum, sich in die GesprächspartnerIn einzufühlen. Welche Emotionen treten auf, wo ist Energie? Was bewegt das Gegenüber? Das damit verbundene „Öffnen des Herzens“ vermag die Sicht auf ein Thema oder die Welt oft entscheidend zu verändern.
Um dann aber wirklich aus einem Moment der Präsenz „die Zukunft zu erspüren“, bedarf es noch einem weiteren Schritt: den Mut, all das was, zuvor geglaubt wurde, womit sich identifiziert wurde, loszulassen. Sich also wirklich auf eine neue Sichtweise einzulassen.

Das ist die „ Öffnung des Willens“

Hier öffnet sich ein gemeinsamer Schöpferischer Raum. Wenn in Kreativprozessen Gedanken gemeinsam fließen und neue Dinge entstehen, die vorher keiner „im Kopf“ hatte. Aus dieser gemeinsamen Energie sofort zu handeln und in die Umsetzung zu gehen – das ist die Idee des U-Prozesses. Und zwar konkret: die Gedanken zu kristallisieren und daraus gleich umsetzbare Prototypen zu kreieren.

Und wenn wir zum Anfang zurückkehren und nicht gleich im Reiz-Reaktions-Schema loseifern, einander wirklich zuhören, wahrnehmen wie es der anderen geht und dann erspüren, welche (Re)aktion gut ist: „…die kleinen Dinge, alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfache Taten aus Güte und Liebe.“

Otto Scharmer gibt uns mit seiner Theory U einen Hinweis daraus, dass dies tatsächlich ein erfolgversprechender Umgang mit der Welt sein kann – aus dem erstaunlich viel gutes entstehen kann.

Dann erleben wir, dass eine bewusste Gestaltung möglich ist und können uns doch wieder der Aussage von Einstein nähern, der eines Tages übrigens zu folgender Erkenntnis kam: „Die wichtigste Erkenntnis meines Lebens ist die, dass wir in einem liebenden Universum leben.“

Foto: towfiqu-barbhuiya-unsplash

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